Vielfalt nicht nur im Beet
Auf ihrer 135 Quadratmeter großen Parzelle samt Laube fühlt sich das Ehepaar Guth wie im Urlaub. Warum verreisen, wenn man hier, nur ein paar Schritte von der Wohnung in der Kleinen Innstraße entfernt, unter duftenden Fliederbäumen sitzen und die Vögel beobachten kann? Seit sie in Rente sind, verbringen sie von April bis Oktober jeden Tag hier. Inzwischen, mit 86 und 83 Jahren, fällt ihnen die Gartenarbeit zwar nicht mehr ganz so leicht, aber das geht schon, wie Frau Guth erzählt: „Wir machen eben jeden Tag ein bisschen.“ Ihre Tochter, die hier ebenfalls eine Parzelle bewirtschaftet, hilft gelegentlich. Das Laubenpiepertum geht somit in die dritte Generation, denn schon Frau Guths Eltern hatten einen Schrebergarten, draußen in Schmöckwitz. Nach dem Mauerbau mussten sie ihn aufgeben und bekamen 1963 die Parzelle in der Kleingartenanlage Loraberg. 1980 erhielt dann das Ehepaar Guth endlich ihren Garten. „Wenn man damit groß geworden ist, kann man sich das gar nicht vorstellen, immer drinnen zu sein“, meint die 86-Jährige und schwärmt vom Geschmack selbst angebauter Tomaten. Ihr Mann bekennt, dass er als Kind Gartenarbeit gehasst hat. Noch heute ist seine Frau die Chefin und gibt die Anweisungen. „Aber wenn ein Baum zu beschneiden ist, muss ich natürlich ran,“ erzählt er. In ihrem Garten gibt es mehrere Obstbäume, Himbeersträucher und Hochbeete für Gemüse. Am Häuschen rankt sich rosafarbener Clematis hoch. In diesem Jahr wird das drei Jahre alte Pfirsichbäumchen das erste Mal Früchte tragen, hofft Herr Guth.
Von der wilden Neuköllner Prärie zum Gartenparadies mit Regeln
Die Kleingartenanlage Loraberg zwischen Kiehlufer und Harzer Straße ist eine der ältesten Laubenkolonien in Neukölln. „Seit 1898“ verkündet das Schild am Eingang. Gegründet wurde sie auf den „Köllnischen Wiesen“, ein unbebautes Gebiet, das seinerzeit Jäger durchstreiften und das in einem französischsprachigen Stadtplan daher als Prairie de Kölln“ eingetragen ist. Wie alle Rixdorfer Laubenkolonien war auch Loraberg sozialdemokratisch geprägt, heißt es in der Chronik, die für die 125-Jahres-Feier 2023 erstellt wurde. Mehrheitlich gärtnerten hier kinderreiche Arbeiterfamilien aus dem umliegenden Mietskasernen. Für sie war die grüne Oase eine Zuflucht aus beengten, ungesunden Wohnverhältnissen. Viele wohnen in den Sommermonaten in der Laube , was zwar schon damals verboten war, aber toleriert wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kolonie Loraberg durch Bomben komplett zerstört und – wie die Inschrift über dem Vereinshaus verkündet - „aus Trümmern erbaut anno 1950“. Anfang der 1980er Jahre mussten sich die Pächter:innen gegen eine Bebauung zur Wehr setzen. Der Protest, unter anderem mit Bettlaken, war erfolgreich: die Kolonie ist seitdem über den Flächennutzungsplan langfristig gesichert. Viele andere Kleingärten mussten weichen. Wo seit 1979 die Hans-Fallada-Schule steht, befand sich vorher ebenfalls eine Laubenkolonie.
Engagiert für das Zusammenleben im Kiez
Seitdem hat sich viel getan. Für manche der neu hinzugezogenen, jungen Leute ist der Schrebergarten vor allem eine Vergnügungsstätte nach dem Motto „Grillen, Chillen, Bierchen killen“. Viele hätten kein Interesse am Gemeinschaftsleben, berichtet das Ehepaar Guth: „Manche kennen wir nicht einmal, die kommen nicht einmal zu den Vereinsfesten." Dabei ist es doch gerade das Miteinander von Jung und Alt, Reich und Arm, was was eine Gartenkolonie ausmacht. „Wir legen Wert auf Diversität, nicht nur was die Pflanzen angeht“, betont der Vereinsvorstand auf der Website. Die 65 Parzellen seien ein Querschnitt der Bevölkerung. Der Kleingartenverein bringt sich auch im Kiez auf vielfältige Weise ein. So beteiligt er sich regelmäßig an Kiezfesten und ist gemeinsam mit der Nachbarkolonie Harztal-Wilde Rose Mitglied im Quartiersrat. Beim Projekt „Jeder Apfel zählt“ wird regelmäßig Obst und Gemüse eingesammelt,und an die Berliner Tafel sowie „Laib und Seele“ gespendet. .