Eine Bibliothek für alle

Aufsteller mit Infos zur Schulbibliothek in der Stuttgarter Straße
Svenja Claussen zeigt Kindern in der Schulbibliothek ein Buch
Ein Kind liegt auf einem Sitzsack und liest ein Buch

Die Gans Ernst hat schlechte Laune. Ernst lacht nie. Egal was passiert, Ernst guckt mies aus der Wäsche. Aber wie kann man Ernst ein Lächeln abgewinnen? Svenja Claussen, Leiterin der Bibliothek in der Eduard-Mörike-Schule steht vor einer Runde sitzender Kinder, hält das Buch „Gans Ernst“ von Jimmy Kimmel in die Höhe und fragt, was man tun könne, um die Gans zum Lachen zu bringen. Svenja liest nicht einfach vor, sie bringt das Buch zum Leben. Die Kinder vor ihr sind voll bei der Sache, ziehen Grimassen und siehe da, am Ende lacht auch Ernst.

 

Kinder für Bücher begeistern

Es ist eine große Herausforderung, die Kinder für Bücher zu begeistern. Viele lesen zu Hause nicht, die Eltern lesen nicht vor, die Kinder schauen mehr ins Handy als in Bücher. Hinzu kommt, dass die nächsten öffentlichen Bibliotheken verhältnismäßig weit weg sind – die Helene Nathan in der Karl-Marx-Alle und Manfred-Bofinger-Bibliothek in der Karl-Kunger-Straße. Im Zusammenspiel mit sprachlichen Barrieren führt der fehlende Kontakt zu geschriebenen Texten dazu, dass die Lesekompetenz vieler Kinder schlecht ist. „Wir beobachten manchmal, dass selbst Schüler*innen aus höheren Klassen zwar die Texte lesen, aber nicht verstehen, was da steht“, erzählt Svenja Claussen.

 

QM-Projekt „Lesen macht Spaß“

Um die Lesekompetenz zu verbessern, finanziert das Quartiersmanagement Harzer Straße seit 2023 aus Mitteln des Programms Sozialer Zusammenhalt das Projekt „Lesen macht Spaß“. Getragen wird das Projekt von der gemeinnützigen Lebenswelt gGmbH. Die Schulbibliothek kann durch die QM-Förderung ein Drittel ihrer Kosten decken, der Rest stammt aus dem Bonusprogramm des Landes Berlin. Durch die QM-Mittel konnte zudem die Stelle von Selvi Yildirim finanziert werden, die Svenja Claussen unterstützt.

Das QM-Projekt verfolgt mehrere Ziele: Koordinierung und Gewinnung von Lesepat*innen, die Anschaffung neuer Bücher, die Öffnung der Bibliothek zum Hertzbergplatz hin, die Entwicklung eines Ausleihsystems, Vernetzung mit anderen Einrichtungen und das Teilprojekt "Schüler*innen lesen für Schüler*innen".

Während die Akquise von ehrenamtlichen Lesepat*innen gut angelaufen ist, steckt die Öffnung zum Hertzbergplatz hin noch in den Anfängen. Die Verzögerung hat räumliche Gründe: Weil die Neuköllner Jugendkunstschule Young Arts ihre Räume in der Donaustraße verlassen und in die Eduard-Mörike Schule umziehen musste, sah sich die Schulbibliothek gezwungen, hausintern die Räume zu wechseln. Das QM setzte sich erfolgreich dafür ein, dass die Bibliothek nicht irgendwo im dritten Stock „verschwindet“, sondern einen leicht zugänglichen Ort bezieht. Der neue Raum liegt nun im Hochparterre und ist über die mittlere Eingangstür an der Stuttgarter Straße leicht zu erreichen.

 

Vernetzung mit Einrichtungen im Kiez

Um auch Familien und Kinder, die nichts mit der Eduard-Mörike-Schule zu tun haben, in die Bibliothek zu holen, setzt Svenja Claussen auf die Vernetzung mit Kitas, den öffentlichen Bibliotheken und Einrichtungen wie dem Familienzentrum Shehrazad in der Roseggerstraße. Von dort kamen am 17.10. auch zwei Stadtteilmütter zum Kiezöffnungstag in die Schulbibliothek. Stadtteilmutter Georgeta Matei-Kossmann kümmert sich vor allem um rumänische Familien in Neukölln. Sie zeichnet ein differenziertes Bild und ist verhalten zuversichtlich: „Manche haben mehr, andere weniger Kontakt zu Bibliotheken. Man muss es immer wieder versuchen. Ich glaube, das Buch kommt zurück.“

 

Erst Bilder lesen, später Texte“

Diesen Eindruck konnte man auch in der Schulbibliothek gewinnen. Zwar schauten sich dort viele Kinder vor allem Bilderbücher an, diese seien aber ein guter Einstieg, so Svenja Claussen. „Jetzt kannst Du die Bilder lesen, später auch die Texte.“ Häufig passiere es, dass Kinder ein Buch nach 20 Sekunden wieder weglegten. „Ich sage dann: Beim Film dauert es auch manchmal länger, bis etwas passiert, gib dem Buch etwas Zeit.“ Hilfreich sei zudem das Vorlesen, das häufig interaktiv geschieht – wie bei der „Gans Ernst“ - und im Idealfall von älteren Kindern übernommen werde.

Der Bestand der Bibliothek ist zudem daraufhin ausgelegt, auch jene Kinder zu erreichen, die nicht gut lesen können. In den Regalen stehen deshalb immer mehr Bücher in einfacher Sprache, die inhaltlich auch ältere Kinder ansprechen. „Dadurch entstehen Erfolgsmomente: Wenn ein Kind es geschafft hat, ein Buch zu Ende zu lesen. Am wichtigsten ist, dass die Kinder Lesen als einen freudigen Moment erleben“, so Svenja Claussen.