Erinnerung an Nazi-Opfer im Harzer Kiez

Stolperstein für Friedrich Rehmer, Harzer Straße 33

Foto: Jens Sethmann

Stolpersteine für Kurt, Dina und Stephanie Bujakowsky, Weigandufer 30

Foto: Jens Sethmann

Man findet sie auf Schritt und Tritt: in den Gehweg eingelassene, kleine Messingplaketten, die an jüdische Hausbewohner*innen erinnern, die zwischen 1933 und 1945 von den Nazis verfolgt, vertrieben, deportiert und ermordet wurden. Namen und Lebensdaten sind auf den „Stolpersteinen“ eingraviert und rufen so immer wieder in Erinnerung, dass hinter der anonymen Opferzahl Millionen einzelne Menschenschicksale stehen.

Neuer Stolperstein für Widerstandskämpfer

Die Stolpersteine werden vom Künstler Gunter Demnig hergestellt und verlegt. Oft sind es Hausgemeinschaften, Hausverwaltungen oder Vereine, die die Geschichte früherer Bewohnerinnen und Bewohner recherchieren und die Stolpersteine in Auftrag geben. Mit 120 Euro kann man die Herstellung und Verlegung eines Stolpersteins stiften. In Neukölln koordiniert das bezirkliche Museum Neukölln die Verlegungen. Im Harzer Kiez gibt es zur Zeit 13 Stolpersteine vor acht Häusern.

Mit Stolpersteinen geehrt werden auch Widerstandskämpfer*innen, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Der neueste Stolperstein wurde auf Anregung der Britzer Initiative „Hufeisern gegen Rechts“ am 8. September vor dem Haus Harzer Straße 33 für Friedrich Rehmer verlegt. Rehmer hat sich als Teil der Gruppe „Rote Kapelle“ an Zettelklebeaktionen beteiligt. Der 21-Jährige wurde deshalb zum Tode verurteilt und am 13. Mai 1943 in Plötzensee hingerichtet.

Die Arbeiter-Widerstandsgruppe Saefkow-Jacob-Bästlein hatte im Harzer Kiez mehrere Mitglieder. Nachdem die Gruppe 1944 aufgeflogen ist, wurden Reinhold Hermann und Hugo Kapteina aus der Weserstraße 54 und Willy Kolbe aus der Sonnenallee 137 in Zuchthäuser und Konzentrationslager gesteckt und noch in den letzten Kriegstagen ermordet.

Lebensgeschichten sichtbar gemacht

Eine weit größere Zahl von Stolpersteinen erinnert aber an die vielen jüdischen Nazi-Opfer. Auf der Stolpersteine-Internetseite kann man viele erschütternde Lebensgeschichten nachlesen. So wohnte zum Beispiel am Weigandufer 30 das Ehepaar Kurt und Dina Bujakowsky. Sie hatten es 1936 noch geschafft, vor den Nazis ins Ausland zu fliehen: zuerst nach Wien, dann nach Paris. Nach der Besetzung Frankreichs deportierten die Behörden Kurt und Dina Bujakowsky mit ihrer fünfjährigen Tochter Stephanie nach Ausschwitz, wo sie 1942 ermordet wurden.

Am Wildenbruchplatz 10 wohnte Vera Birkenfeld mit ihrer jüdischen Mutter und ihrem nicht-jüdischen Stiefvater. Die sogenannte „Mischehe“ der Eltern gab Vera zunächst noch ein gewisse Sicherheit. Doch sie musste Zwangsarbeit leisten und wurde letztlich im März 1943 nach Ausschwitz deportiert und im Alter von 21 Jahren ermordet. Ihre Eltern haben bis 1944 einen jüdischen Verwandten in ihrer Wohnung versteckt. Nachdem ihr Stiefvater verhaftet wurde, musste ihre Mutter untertauchen. Sie konnte die Nazi-Herrschaft überleben.

Bedrückende Datenauswertung

Die Stolpersteine können nur einen kleinen Ausschnitt abbilden. Hier wie überall in Berlin gab es vor 1933 viel mehr jüdische Nachbar*innen. Als Ergänzung zu den Stolpersteinen hat der US-amerikanische Neuköllner Roderick Miller mit seinem Verein „Tracing the Past“ Archive ausgewertet und die Namen früherer jüdischer Bürger*innen  mit ihrer Wohnadresse in eine Landkarte eingetragen. Die Daten kommen vor allem aus der Volkszählung von 1939, bei der man angeben musste, ob ein Großelternteil jüdisch war.

Auf der Internetseite www.mappingthelives.org sind diese Daten auf einem Stadtplan verzeichnet. Jede Adresse, an der Verfolgte wohnten, ist mit einem Punkt gekennzeichnet. Wenn man diesen anklickt, kann man die Namen der jüdischen Bewohner und deren Angehörigen sowie ihre Lebensdaten aufrufen. Man kann auch direkt nach Namen oder Adressen suchen.

Im Harzer Kiez sind über 150 Adressen verzeichnet. In ungefähr jedem dritten Haus wohnten auch jüdische Mitbürger. Der gesamte Kiez hatte laut der Volkszählung von 1939 mehrere Hundert Einwohnende, die damals als „nicht-arisch“ galten. Auch das sind nicht alle, denn zu diesem Zeitpunkt sind die Juden in Deutschland schon weitestgehend rechtlos gemacht worden, so dass viele schon in den Jahren zuvor das Land verlassen hatten. „Mapping the Lives“ gibt einen beklemmenden Eindruck davon, wie der Holocaust in unseren Straßen begann.

 

Buchtipp:
Dorothea Kolland (Hg.): „Zehn Brüder waren wir gewesen…“ – Spuren jüdischen Lebens in Neukölln, Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2012, 608 Seiten, 335 Abbildungen, 29,90 Euro